Ob es regnet, stürmt, schneit oder gar die Sonne scheint, kein Wind und Wetter kann einer alten Frau in unserem Quartier was anhaben, so scheint es. Stoisch dreht sie mit ihrer Gehhilfe täglich ihre Runde. Kurz ist er nicht, ihr Spaziergang, geradlinig verläuft er auch nicht. Es geht mal abwärts, dann wieder aufwärts und zwischendurch geradeaus. So wie im Leben.
Vor ein paar Wochen habe ich sie endlich das erste Mal angesprochen, sie hat inne gehalten und wir haben ein bisschen geplaudert. Einige Zeit später widmete unsere wöchentliche Gemeindezeitschrift der Frau eine ganze Seite. Ich habe sie auf dem Foto auch gleich erkannt, ihren Namen kenn ich nämlich (noch) nicht. Anfangs März durfte sie ihren 100 Geburtstag feiern, so stand es schwarz auf weiss. Wir konnten es kaum fassen. Ein ganzes Jahrhundert Leben schiebt sie täglich mit ihrer Gehilfe vor sich her und so fit. Respekt!
Wir (meine Familie und ich) standen gerade draussen, als sich unsere Wege heute wieder kreuzten. Wir sprachen sie auf ihren Geburtstag an, gratulierten nachträglich und sagten wie wir sie bewunderten. Sie meinte nur, ach, das wäre ja nun auch schon wieder drei Wochen her und das Leben würde so rasch verfliegen. Ehe sie sich versehen hätte, sei sie hundert geworden. Zu klagen hätte sie ja eigentlich nichts, das Wetter stimme meistens auch. Kurz kam sie dann doch noch ins Grübeln und fügte an, so gut wie früher ging es ihr heute leider nicht mehr. Es harzt. Deshalb, wenn sie sich was wünschen könnte, wäre sie gerne nochmals 20 Jahre jünger. Wir lachten, die Antwort haben wir nicht erwartet. Wie alles, ist auch das Alter total relativ und definitiv eine Frage der Perspektive.
Als Hundertjährige wäre man also gerne nochmals 80, mit 50 vielleicht nochmals 40, nur mit 14 kann man es kaum erwarten 15 zu werden.
Ihr Wunsch hat mich dermassen positiv überrascht und meinen medioker gestarteten Tag augenblicklich ins Positive gedreht. She made my day! (dies lässt sich zu Deutsch irgendwie nicht wirklich treffend ausdrücken). Ich habe mir fest vorgenommen, mir in Zukunft eine Scheibe von ihrer Gelassenheit und Zuversicht abzuschneiden. Schliesslich habe ich noch drei Jahrzehnte vor mir bis ich 80 werde.
In diesem Sinne, frohe Ostern!